Interview mit Anne Bolte

  • Eckdaten zu deiner Person, …z.B…Beruf, Hörstatus, Ehrenamt, Hobby, was Dir sonst wichtig ist

Ich bin 53 Jahre jung, seit frühester Kindheit hörgeschädigt und war lange fast taub. Ich trage nun 2 CI´s: eines bekam ich zum 30ten, das andere (obwohl schon lange taub auf dem Ohr) erst zum 50ten Geburtstag. Meine ersten Berührungen mit anderen Hörgeschädigten hatte ich sehr spät, im Alter von 16 Jahren, als ich an einer Schule für Hörgeschädigte das Abitur machte. 

Ich bin heute als Tierärztin in leitender Position in einem international arbeitenden Unternehmen tätig. Ich bin Spezialistin für alle fliegenden Tiere (außer Fledermäuse) und für Infektionskrankheiten, was böse Zungen behaupten lässt, ich sei keine „richtige“ Tierärztin. Ich find meinen Job trotzdem cool. Zum Ausgleich bin ich pferdeverrückt, besitze eine Warmblutstute namens „Arielle“ und teile mein Haus mit meiner Katze „Miss Gier“.

  • Wenn Du eine berühmte Persönlichkeit (egal ob lebendig oder tot) treffen dürftest, wer wäre es und warum?

Oliver Sacks. Der ist leider 2015 verstorben. Sehr unkonventioneller Typ. Ich habe all seine Bücher im englischen Original gelesen. Und ich fand sein Buch über die Gehörlosigkeit „Seeing voices“ / “Stumme Stimmen“ mehr als beeindruckend.

Ich liebe Gebärdensprache. Ich habe mir schon öfter einen „Rüffel“ eingefangen, weil ich eine ziemlich gruselige Mischung aus LBG (lautsprachbegleitende Gebärden) und DGS (Deutsche Gebärden Sprache) an den Tag lege. Meistens werde ich trotzdem verstanden 😉

  • Wenn Du eine Sache auf der Welt verändern dürftest, was wäre das und warum?

Ich wünsche mir eine Welt ohne Krieg und Gewalt, in der die Menschen friedlich und respektvoll miteinander umgehen. 

  • Hörst Du gerne Musik und wenn ja, wie hast Du es geschafft, diese zu genießen?

Wenn ich keine CI hätte, würde ich Sprache nicht unbedingt vermissen- ich könnt ja Lippenabsehen, oder Gebärden, oder lesen. Aber MUSIK würde ich vermissen. Ich spiele Klavier und besonders gern seit 2 Jahren Klarinette. Es ist eine tolle Möglichkeit, Emotionen auszudrücken im Spiel. Besonders gern höre ich klassisches „Zeugs“. Streicher stehen ganz oben, es kann gar nicht komplex genug sein…

  • Was macht Dir an Deinem Ehrenamt besonders Spaß und warum?

Man trifft Leute. Nette Leute. Neue Leute. Leute, mit denen man sich versteht. Oder Leute, die man von seinem Anliegen überzeugen kann. Leute, die man motivieren kann, und die einen selbst motivieren. Leute, mit denen und für die man sich freut. Leute, von denen man auch für sich was mitnimmt. 

  • Wie bist Du einst auf die Selbsthilfe aufmerksam geworden? Was hat Dich bewogen, eine SHG zu gründen?

Es begann bereits im Studium mit der BHSA e.V. Ich fand es immer schon sehr hilfreich und sinnvoll sich mit ähnlich betroffenen Menschen auszutauschen. Diese vielen „aha“-Erlebnisse laden doch immer wieder die inneren Batterien auf. Ich finde, in der Selbsthilfe tankt man auch Energie fürs Leben unter „nicht-Betroffenen“.

Mit meinem Umzug nach Cuxhaven stellte ich fest: Es gab NICHTS für Hörgeschädigte vor Ort. So kam es zur Gründung von „OPEN OHR“ einer kleinen, aber feinen SHG an der Nordseeküste.

  • Welche Lebensweisheit/Strategie in Bezug auf den (Berufs)-Alltag möchtest Du allen Hörgeschädigten mit auf den Weg geben? 

Ich finde besonders wichtig, dass man tut, was einem Spaß macht. Dann läuft es fast von allein. Das war zumindest mit meinem Studium so. Und Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Unkonventionelle Wege sind möglich und erlaubt. 

Wichtig finde ich aber auch, dass man seine Grenzen akzeptiert und offen zu seinem Handicap steht. Ich habe erfahren können: wenn man seinen Kommilitonen/Kollegen/Mitmenschen/Sportskollegen/Mitmusikern offen und humorvoll erklärt, was und wie man (nicht) hört, dann bekommt man meist auch positives Feedback und legt einen Grundstein für ein gutes Miteinander.

  • Wenn Du 3 Wünsche frei hättest, welche wären das?

Gesundheit, (2) gute Freunde und (3) immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel.

  • Hast du noch eine Lebensweisheit für uns?

Niemand weiß, wie weit seine Kräfte reichen, eh er sie versucht hat.  

(Das ist natürlich nicht von mir, sondern von Johann Wolfgang von Goethe)