Matthias Schulz: Mein Weg zum CI
Es schrieb das Jahr 1977, ich wurde im goldenen Oktober in Hamburg geboren. Neben meinen 2 älteren Geschwistern, bin ich sozusagen ein Nachkömmling. Meine Eltern gaben mir den Namen Matthias.
Rückwirkend aus Erzählungen meiner Eltern weiß ich, dass meine Mama eine schwierige Geburt mit mir erleben musste. Sie kann sich noch an Wortfetzen „da stimmt etwas mit dem Mutterkuchen“ im Kreissaal erinnern. Eine Geburtsakte ist bis heute nicht auffindbar.
Ich entwickelte mich normal, sprach auch gut – aber ich sprach wenig. Ich reagierte nicht auf Rufe. Das kostete so manche „Tracht Prügel“ – weil der Junge „nicht hören“ wollte. Ich kam in einen Kindergarten in der Nachbarschaft. Eine sehr nette Erzieherin machte meine Eltern aufmerksam, dass ich etwas mit den Ohren haben könnte.
Und dann begann die Odyssee: Natürlich ist meine Mama gleich mit mir zum Ohrenarzt – die Aussage vom HNO-Arzt war: „Stellen Sie nicht so an – ihr Sohn ist ein Nachkömmling – er braucht etwas länger“. Mit dem Ergebnis waren meine Eltern nicht zufrieden. Man besuchte mit mir verschiedene HNO-Praxen und Krankenhäuser: es gab unterschiedliche Untersuchungen mit unterschiedlichen Ergebnissen (das Kind ist taub, das Kind kann nicht sprechen, das Kind kann normal hören) Fakt aber war, ich sprach normal – nur sehr wenig und reagierte nur, wenn das Gesicht zu mir gewandt war.
Nach 2 Jahren Untersuchungen waren meine Eltern genervt und beschlossen, mir einfach ein Hörgerät zu kaufen. Sie sind zu einem Akustikerladen von der Firma Kind und sagten, wir brauchen für unseren Sohn ein Hörgerät. Eine sehr nette Akustikerin klärte meine Eltern auf: ohne Rezept gibt es kein Hörgerät und sie müssten zum HNO-Arzt. Darauf erwiderten meine Eltern: „Nix da – unser Sohn wurde 2 Jahre von verschiedenen Ärzten untersucht und alle gaben unterschiedliche Ergebnisse. Die Akustikerin empfahl ein bestimmtes Krankenhaus mit einer HNO-Abteilung. Mit ca. 6 Jahren wurde dann meine hochgradige Schwerhörigkeit festgestellt und ich bekam 2 Hörgeräte. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass ich am Küchentisch saß und ich plötzlich mein eigenes Klatschen und Klopfen auf dem Küchentisch hörte.
Ich wurde mit 6 Jahren auch sofort – nach Feststellung meiner Hörschädigung- etwas verspätet in die Schwerhörigen-Schule Hamburg eingeschult. Ich machte die Mittlere Reife und bin dann 1994 nach Essen auf die Kollegschule mit Internat gewechselt. Ich machte das Fachabi. Die Schulzeit in Hamburg und Essen war schön, ich konnte den Unterricht gut folgen und fand auch immer Anschluss zu den anderen hörgeschädigten Klassenkameraden.
1996 begann ich eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation bei der Deutschen Telekom. Es begann eine neue Zeit – weg von der geschützten Welt in den Schulen für Hörgeschädigte. Ich musste plötzlich in eine „normale“ Regelberufsschule. Ich war der einzige Hörgeschädigte in der Berufsschule. Ich bekam eine Microport-Anlage, die mir den Schulbesuch erleichterten. Ich musste auch eine Prüfung für Stenographie (trotz fast Taubheit) ablegen. Ich vermisste damals sehr meine Mitschüler aus den Schwerhörigen-Schulen. Durch Fleiß und auch etwas Ehrgeiz beendete die 3jährige Ausbildung mit einer guten Note und wurde auch übernommen.
Im Jahre 2000 wurde ich Mitglied im Schwerhörigen-Verein Hamburg und fand auch wieder den Kontakt zu anderen Hörgeschädigten. Ich engagierte mich dann in der Jugendarbeit und bin mittlerweile im Vorstand. Ich hatte damals auch die schönen Sommercamps von der damaligen Bundesjugend erleben dürfen.
Ich fragte damals meinen HNO-Arzt, ob man irgendwie meine Hörschädigung durch eine Operation verbessern könnte. Die Antwort: „Nein, die Hörnerven sind kaputt – deswegen sind Sie schwerhörig“. Eine logische Rückmeldung für mich damals und fand mich offiziell mit der Schwerhörigkeit ab bzw. musste sie irgendwie akzeptieren. Zu diesem Zeitpunkt hörte ich noch etwas mit den Hörgeräten, aber ich hatte nie ein Sprach-Verständnis
Im Jahr 2005 wurde bei mir durch Zufall Diabetes festgestellt. Das war harte Zeit für mich. Erst die Hörschädigung und dann noch Diabetes dazu. Ich musste gleich sofort mit Insulin und Spritzen leben und das Leben neu lernen. Ich besuchte aufgrund der Diagnose Diabetes die Rehaeinrichtung für Hörgeschädigte in Bad Berleburg. Es liefen viele Hörgeschädigte Patienten mit einem CI in der Einrichtung. Und ich bestaunte, wie gut es ihnen mit dem Hören ging.
Ich dachte, die Medizin hat sich bestimmt weiterentwickelt und ich klopfte in der HNO-Abteilung an und bat um eine Untersuchung. Und dann das Ergebnis: Ihre Hörnerven sind doch in Ordnung – sie können von einem CI profitieren. Das war ein Ergebnis, dass ich erstmal kapieren musste.
Nach der Reha meldete ich mich in Hamburg in der Universitätsklinik Hamburg (UKE) als CI-Wunsch-Kandidat an. Es folgten Untersuchungen. Alles prima und ich wurde auf eine Warteliste als CI-Kandidat gesetzt. Doch durch irrsinnige politische Fehlentscheidung wurde die CI-Abteilung im UKE geschlossen. Ich hatte dann die Wahl Hannover oder Kiel. Nach Hannover wollte ich definitiv nicht. Mir gefielen die Versorgungs- und Behandlungsabläufe nicht (noch heute gefällt mir der Ablauf in Hannover nicht). Durch Gespräche mit Christine Jegminat entschied ich mich für das UKSH Kiel.
Doch dort in beim UKSH Kiel musste ich auch kämpfen: man wollte mich nicht mit einem CI versorgen -die Begründung war: „Sie sprechen so gut, Sie kommen so gut klar, warum dann ein CI“. Als ich das hörte, wurde ich sehr erbost, und antwortete: „ich will aber ein CI, ich höre sehr schlecht und mir ist der Alltag einfach zu anstrengend und ich unterschreibe auch alles, Hauptsache – ich bekomme ein CI!“
Und ich wurde operiert und nach 4 Wochen durfte ich bei der Ersteinstellung das erste „Piepen“ hören. Das war einfach nur schön und für mich auch emotional ergreifend. Ab da wusste ich, ich kann wieder etwas hören – es wird nur Training und Arbeit kosten.
Heute bin ich inzwischen bilateral versorgt und es geht mir gut! Ich genieße es wieder am Leben aktiver teilnehmen zu können und telefonieren zu können. Ich genieße es aber auch, dass ich die CIs abnehmen kann und auch in Stille das Leben zu leben. Mir ist vollkommen bewusst, dass ich nach wie vor „taub“ bin und auch immer bleiben werde. Mir ist auch bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, ein gutes Hören wieder zu bekommen. Für dieses Glück oder „Hör-Geschenk“ bin ich Gott sehr dankbar.
Durch das CI- und auch die CI-Szene bin ich auch zum Cochlear Implantat Verband Nord gekommen. Heute bin ich Vorsitzender dieses Verbandes und im Präsidium der Deutschen Cochlear Implantat Gesellschaft e.V. und freue mich immer wieder, wenn ich Menschen zu einem besseren Leben mit einem CI- helfen oder motivieren kann.
Juli 2020, Matthias Schulz